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Maiempfang 2025

- Es gilt das gesprochene Wort -

Rede von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich des Maiempfangs am Montag, 28. April 2025, im Historischen Reichssaal

Anrede

Herzlich willkommen zum Maiempfang der Stadt Regensburg. Ich freue mich, Sie alle hier im Historischen Reichssaal begrüßen zu dürfen.

Der Maiempfang hat seit vielen Jahrzehnten Tradition in unserer Stadt. Tarifpolitik, Soziale Sicherheit, faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und die Rolle der Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft sind die zentralen Themen des Empfangs.

Besonders auf diesen letzten Punkt, die Rolle von Gewerkschaften im gesellschaftspolitischen Kontext, möchte ich heute eingehen. Denn diese Rolle wird angesichts der Entwicklungen in den vergangenen Jahren und Monaten zusehends wichtiger.

Politiker und Parteien, die unseren Grundwerten gegenüber feindlich eingestellt sind, gewinnen an Einfluss. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr erhielt die AfD in Thüringen 32,8 Prozent der Stimmen, in Brandenburg 29,2 Prozent und in Sachsen 30,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl vor wenigen Monaten stimmten 20,8 Prozent der Menschen für die AfD – eine in Teilen rechtsextreme Partei.

Meine Damen und Herren, die Demokratie, die Basis für Wohlstand und Freiheit in unserem Land, ist bedroht – von außen wie von innen. Sie braucht Beschützer. Gewerkschaften nehmen diese Rolle ein, sie sind Beschützer und Wächter der Demokratie und ihrer Werte.

„Wir stehen an vorderster Front im Kampf gegen Hetze, Diskriminierung und antidemokratische Kräfte, um die Demokratie zu schützen und zu stärken“, schreibt der DGB auf seiner Website. Ein Beispiel hierfür konnten wir unlängst in unserer Stadt erleben: Der DGB und Einzelgewerkschaften waren Mitorganisatoren der Demo „Gemeinsam gegen Rechts“ im Februar in Regensburg. 20.000 Menschen folgten dem Aufruf.

Trotz der klaren Kante gegen Rechts haben aber auch die Gewerkschaften mit einem Rechtsdruck zu kämpfen. Auch und gerade im Arbeiter-Milieu gewinnt die AfD an Zuspruch.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im April 2024 wählten laut Infratest dimap 33 Prozent derjenigen, die sich in Nachwahlerhebungen selbst als Arbeiter bezeichnen, die AfD – und machten sie damit zur stärksten politischen Kraft in dieser Gruppe. Gleiches gilt für die Landtagswahlen: In Thüringen erhielt die AfD 49 Prozent der Arbeiterstimmen, in Brandenburg 46 Prozent und in Sachsen 45 Prozent. Bei der Bundestagswahl stimmten 38 Prozent der Arbeiter und Arbeiterinnen für die AfD.

Wie lässt es sich erklären, dass die AfD, die marktradikale Wirtschaftspolitik propagiert, so erfolgreich im gewerkschaftlich geprägten Arbeitermilieu nach Stimmen fischt?

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht hat das ganz wesentlich damit zu tun, welchen Wert wir Arbeit als Gesellschaft beimessen, welches Gewicht wir den Stimmen der Arbeitnehmerschaft geben, welchen Status die Arbeiterschaft in der Gesellschaft hat.

Studien aus Frankreich zeigen, dass Arbeiter zunehmend das Empfinden umtreibt, dass ihre Leistungen gesellschaftlich keine angemessene Wertschätzung erfahren. Vor allem männliche Arbeiter fühlen sich demnach unsichtbar gemacht und „entehrt“.

Ihr traditionelles Wertesystem, ihre Lebensentwürfe, der Wert harter, jahrzehntelanger Arbeit erfahren eine fortschreitende Delegitimierung. In den medialen politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeiten kommen sie kaum vor. Und wenn, dann als vom Aussterben bedrohte Spezies oder als arme und prekär Beschäftigte.

Hinzukommen konkrete Nöte in einer globalisierten und technologisierten Welt: die Sorge vor Jobverlust, Abstiegsängste, hohe Teuerungsraten und in der Folge Reallohneinbußen.

Die Politik hat großen Anteil an dieser Entwicklung. Die demokratischen Parteien und insbesondere die politische Linke haben auf diese Entwicklungen nicht entsprechend reagiert. Sie haben ein gesellschaftspolitisches Vakuum hinterlassen. Rechte Kräfte sind erfolgreich in dieses Vakuum gestoßen. Es ist ihnen gelungen, Kapital aus dem beschriebenen Empfinden der Arbeiter zu schlagen.

Hier müssen wir entschlossen und gemeinsam gegensteuern. Die Parteien der Mitte dürfen der AfD nicht länger das Feld und die Deutungshoheit überlassen. Dazu gehört auch, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in die Strukturen der Parteien der Mitte besser eingebunden werden. Die extreme Rechte rekrutiert ihre Aktiven deutlich häufiger aus dem Handwerk und dem verarbeitenden Gewerbe als es die demokratischen Parteien tun.

Ebenso muss die Position der Gewerkschaften gestärkt werden. Starke Arbeitnehmervertretungen und breite Mitbestimmungsrechte schaffen Vertrauen in Institutionen und demokratische Strukturen.

Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen in Tarifverhandlungen auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern verhandeln können, um faire Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung sicherzustellen. Gute Tarifabschlüsse reduzieren nicht nur die konkreten Sorgen der Arbeiter und schaffen Soziale Sicherheit, sie erhöhen auch die Wertschätzung für Arbeit an sich und jene, die sie verrichten.

Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass mitbestimmungsfreie Zonen in Deutschland nicht weiter wachsen. Denn Mitbestimmungsmöglichkeiten und aktive gewerkschaftliche Arbeit schaffen wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Arbeiterinnen und Arbeitern, die mit der AfD oder anderen radikalen Gruppierungen sympathisieren.

Wo es weder Betriebsräte noch engagierte Gewerkschaftsmitglieder gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass kein ausgeglichener Diskurs zu extremen und populistischen Positionen innerhalb der Arbeiterschaft stattfindet. So ist das Erstarken der AfD auch mit dem Rückgang des Einflusses der Gewerkschaften und der Tarifbindung von Betrieben zu erklären.

Im Jahr 2000 wurden laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln 63 Prozent der westdeutschen und 46 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten nach Flächentarif bezahlt. Diese Anteile fielen bis 2022 auf 43 Prozent im Westen und auf 33 Prozent im Osten.

Zudem sind heute nur gut 17 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Teil einer Gewerkschaft. 1991 betrug die Quote noch 39 Prozent. Die Chefin der größten deutschen Gewerkschaft, der IG Metall, Christiane Benner, sprach im Januar 2025 in der Welt am Sonntag von einer „Erosion der Mitbestimmung“. Diese Erosion schlägt sich nicht zuletzt auch im Einkommensverhältnis nieder. In den vergangenen 30 Jahren sind die mittleren Haushaltsnettoeinkommen nur halb so stark gestiegen wie die der oberen zehn Prozent.   

Meine Damen und Herren, die Wahlerfolge der Rechten kommen nicht von ungefähr. Lange wurden die Wahlergebnisse mit Begriffen wie „Protestwahl“ oder „Denkzettel für ‚Die da oben‘“ erklärt. Spätestens aber mit den Landtagswahlen 2024 und der Bundestagswahl 2025 muss dieses Narrativ kritisch hinterfragt werden. Ich meine: Die Erfolge der AfD haben strukturelle Ursachen.

Der Soziologe Dr. Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld sieht in den einfachen Erklärungsansätzen gar eine „Selbstberuhigungsformel für die etablierten Parteien“ und „politischen Selbstbetrug“. Damit müssen wir Schluss machen.

Wir müssen jenen, die sich von der Gesellschaft und dem demokratischen System nicht mehr repräsentiert und angemessen gewertschätzt fühlen, aufmerksamer zuhören, ihre Lebenswirklichkeit in unserem Handeln besser abbilden und ihren Lebensentwürfen größere Achtung entgegenbringen.

Gute Arbeitsbedingungen sowie faire und angemessene Löhne sind konkrete Ansatzpunkte. Gewerkschaften sind hier „Kämpfer an vorderster Front“. Sie spielen eine bedeutende Rolle in der Arbeitswelt und haben direkten Einfluss auf Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Veränderungen.

Meine Damen und Herren, der 1. Mai steht in diesem Jahr unter dem Motto „Mach dich stark mit uns!“. Das möchte ich als Oberbürgermeisterin der Stadt Regensburg tun. Gemeinsam müssen wir die Rechten und ihre demokratie- und freiheitsfeindlichen Ansichten und Ideen zurückdrängen, indem wir Ungleichheit, Desinformation und Spaltung aktiv entgegentreten. Im Privaten, in der medialen – insbesondere digitalen – Öffentlichkeit und ebenso in den Arbeitsstätten. 

Das ist nicht immer einfach. Die transformativen Prozesse, die wir erleben, fordern massive Anpassungen – und können mitunter auch überfordern. Es wird sich jedoch langfristig lohnen, diesen schwereren Weg gemeinsam zu gehen. Davon bin ich als Demokratin überzeugt. Denn ohne Demokratie, ohne eine solidarische und offene Gesellschaft werden wir massiv an Wohlstand und an Gestaltungsmöglichkeiten verlieren – nicht zuletzt in den Bereichen, die ich eingangs als zentral für diese Veranstaltung genannt hatte und die so wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft sind: Soziale Sicherheit, faire und gerechte Löhne, gute Arbeitsbedingungen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.