Audios in Jiddisch und Deutsch "A tog in Regensburg"
A tog in Regensburg (Ein Tag in Regensburg) von Joseph Opatoshu
Joseph Opatoshu wurde 1886 in Polen geboren und emigrierte 1907 nach Amerika. Seine in jiddischer Sprache verfasste Erzählung A tog in regensburg (Ein Tag in Regensburg) von 1933 basiert auf der Ausweisung der Juden im Jahre 1519 aus der Stadt. Erzählt wird die Geschichte einer jüdischen Hochzeit. Doch die in bunten Farben geschilderte Handlung mündet in die Vertreibung. Neben diesem Unheil, das der Autor angesichts der drohenden Hitler-Diktatur zeichnet, zeigt Optoshu in diesem Text zugleich den Reichtum und die Kraft der jiddischen Sprache, Literatur und Kultur.
Zum Buch: Joseph Opatoshu, Ein Tag in Regensburg. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sabine Koller. Regensburg 2019, Verlag Friedrich Pustet. Zweite und erweiterte Auflage. Kommentiert und aus dem Jiddischen übersetzt von Evita Wiecki und Sabine Koller unter Mitwirkung von Diane Schürmeier, Verena Hämmerle und Sandra Birzer.
Hier unten finden Sie die drei Hörbeiträge und die dazugehörigen Texte und Übersetzungen. Gelesen vom Herrn Hanan-Michael Bordin (Jiddisch) und von Frau Prof. Dr. Sabine Koller (Deutsch)
di shvere shultirn, geshmidt un gehamert mit eyzerne mogn-dovids, zenen geshtanen breyt tseefnt. fun der tif hot aroysgeshotnt a kilkeyt, zikh tseleygt ibern geflastertn arayngang, vu toybn hobn arumgeshpatsirt, zikh gevigt af dine, royte fislekh, geterklt.
afn balemer iz geshtanen der alter yekil, vos hot shoyn gehat ibergegebn dos shamoses dem zun zaynem. dos mate ponim geruntslt un ayngefaln fun altkeyt. s’vayse berdl, geknipt un gekoltnt, hot zikh gerisn tsu di peyes, tsu di bremen, glaykh men volt s’ponim arumgenumen mit a krentsl knobl.
Die schweren Türen der Synagoge, der Schul, geschmiedet und mit eisernen Davidsternen beschlagen, standen weit offen. Aus der Tiefe strömte kühle Luft, legte sich über den gepflasterten Eingang, wo Tauben umherspazierten, sich auf ihren dünnen, roten Füßchen hin- und herwiegten und gurrten.
Am Lesepult stand der alte Jekil, der sein Amt als Schamess, als Synagogendiener, bereits seinem Sohn übergeben hatte. Sein mattes Gesicht war verrunzelt, eingefallen, vom Alter gezeichnet. Der weiße Bart, verknotet und verfilzt, wucherte bis zu den Schläfenlocken und Augenbrauen, als hätte jemand einen Knoblauchkranz um sein Gesicht gelegt.
Er blickte auf den roten Teppich, der zwischen Lesepult und Thoraschrein ausgebreitet lag, betrachtete die geputzten Hänge- und Wandleuchter, die blank gescheuerten Sitze, die frisch gestrichenen Wände, bemalt mit Hirschen, Musikinstrumenten und Inschriften aus dem Buch der Psalmen.
Der alte Schamess sah mit Wohlgefallen, dass Thoravorhang und -mantel gelüftet waren und sich im Gebetsraum der Synagoge kein Stäubchen fand. Er zog die Lippen ein und die Nase kraus, als müsse er gleich niesen, und sagte mit junger Stimme zu seinem Sohn:
der alter shames hot geshept nakhes, vos di un mentelekh zenen oysgevetert, vos in kholel fun der shul zet zikh keyn shtoybele nit. er hot ayngetsoygn di lipn, di noz, vi er volt zikh gehaltn baym fanandernisn un a zog geton tsum zun mit a yung koylekhl:
geloybt hashem yisborekh, ven geshet es vider zo eyn broyleft? eynmol in a lebn-tog. heysn heyst es, az undzer shloyme belaser, der groyser gvir, der vakerer, khoshever man, hot zikh meshadekh geven mit a tsveytn gvir, mit eliye margolis fun virmize.
„Gelobt sei Sein Name, wann wird es wohl wieder eine solche Hochzeit geben − nur ein einziges Mal im Leben! Man erzählt, dass Schmuel Belasser, unser reicher, rechtschaffener Mann, bereits Abmachungen getroffen hat, sich mit einem anderen sehr reichen Mann, nämlich Eliohu Margolis aus Worms, zu verschwägern.“
„Wie heißt sie, die Tänzerin?“
„Rosa werde ich genannt, werft’s in die Zimbel, werft’s in die Hand.“ Ihre Augen blitzten auf, dass sogar gestandene Mannsbilder in ihre Bärte hinein lächelten und auch ihre Hüte, rund wie Glocken, vor lauter Freude wackelten.
„Roslin, sing uns etwas!“
„Sing uns das Lied ‚Es steht ein Schloss in Österreich’!“
„Müde, müde bin ich, meine Herren.“ Rosa warf den Kopf zurück, und die schweren Zöpfe blieben nachlässig auf ihren biegsamen Schultern liegen, „nach der Trauung werde ich singen − mit Harfen und Flöten, mit Geige und Pauken.“
Der Duft von frischgebackenem Ingwer, von gezuckerten Mandelküchlein schlug einem entgegen, es roch nach ausgebackenen Hasenöhrchen, Röschen und Fingerhütchen. Den Hungrigen lief das Wasser im Mund zusammen.
der reyekh fun frish gebakenem ingber, fun getsukerte mandlkikhlekh, hot a shlog geton in ponim arayn, mitgebrakht reykhes un gerukhn fun gepreglte hoyznblozn, reselekh un fingerhutn. s’harts, a farkhalesht, hot zikh a shpar geton in moyl arayn:
es iz ongekumen khayim beker, an oysgemelter, glaykh men volt im nor vos fun oyvn aroysgenumen. nokh im – zayne tsvey gezeln. di gezeln hobn getrogn af di kep blekhn frish gebeks, zikh geaylt tsu shmuel belaser af der khasene.
der beker hot a blik geton af der tentsern un iz geblibn shteyn a geplevter. di gezeln hobn zikh ibergekukt mit ganvishe oygn.
- vos fara gute zakhn hot ir dort? – iz di tentsern shoyn geshtanen lebn beker, hot arufgeleygt ir kleyne, eydele hant af zayner – a hungerike tentserin megt ir mekhabed zayn!
Mit Mehl bestäubt, als hätte man ihn gerade aus dem Ofen gehoben, kam Chaim der Bäcker daher. Ihm hinterher seine zwei Gesellen. Die Gesellen trugen auf dem Kopf Bleche frischen Gebäcks, eilten zum Hochzeitsfest von Schmuel Belasser.
Der Bäcker warf einen Blick auf die Tänzerin und blieb verblüfft stehen. Die Gesellen schauten einander verstohlen an.
„Was für gute Sachen habt ihr da?“ Schon stand die Tänzerin neben dem Bäcker, ihre kleine, edle Hand lag auf der seinen. „Ihr dürft einer hungrigen Tänzerin die Ehre erweisen!“
„Das Beste und Schönste“, der Bäcker begann sich im Kreis um die Tänzerin zu drehen und vor lauter Freude fasste er sie um die Taille.
Hier setzte erneut die Geige ein, dann die Flöte, danach die Sackpfeife. Schnell wie der Wind eilte Rosa herbei, doch blieb sie mitten im Lauf vor dem Kurfürsten auf den Zehenspitzen stehen.
di fidl hot zikh tseshpilt, dernokh di fleyt, dernokh di yidn-harf. royze iz ongelofn vi a vint un in mitn loyfn iz zi geblibn shteyn farn kurfirsht af di shpits finger. der kleyner, kluger kop farrisn, di nokh klenere brustn hobn aroysgeterklt fun hintern gepastn sametenem kleyd, vos iz geven breyt un breyter arum lendn. luftiker un tsefaldeveter arum dem trot. un in di fis, vos zenen i geshtanen i nit geshtanen, iz geven aza umru un aza rayts, az baym oylem hot farfelt otem.
royze hot eyne aleyn getantst dem yidn-tants. keyn shpringen, keyn patshn mit di hent iber di lendn, keyn knakn fun tseyg-finger on doymen. azoy hot men dem yidn-tants in ashkenaz nit getantst. royze hot zikh geshart ibern roytn dil, zikh gevigt. a trot aher, a trot ahin. in yedn ker, in yedn boyg – freyd un troyer.
Rosa tanzte den Judentanz allein. Sie tanzte ihn, ohne zu springen, ohne mit den Händen gegen die Hüften zu schlagen und ohne mit den Fingern zu schnippen. So wurde der Judentanz in Aschkenas nicht getanzt. Rosa schleppte sich über die roten Dielen, wiegte sich hin und her, machte einen Schritt vor, einen zurück. In jeder Drehung, in jeder geschmeidigen Bewegung lagen Freud‘ und Leid. […]
Der Saal erzitterte: „Roslin! Vivat Roslin!“
„Vivat!“
in dem shaln, in dem tuml, hot zikhgeviklt a shtil geveyn, a vayt geveyn. dos hot di yidn-harf in a zaytikn tsimer oysgetroyert dem „eykhe“ nign, tsugegreyt dem oylem tsum „toytn-tants“. funem nign hot ongehoybn tsu vern umheymlekh.
In das Jubeln und Jauchzen wob sich ein leises, fernes Weinen ein. Es war die Sackpfeife, die sich traurig dem „Klagelied“ hingab und das Publikum auf den Totentanz vorbereitete. Allein von dieser Melodie wurde es einem ganz unheimlich.