„Elternsein ist insgesamt schwieriger geworden“

Vor fünf Jahren hat die Corona-Pandemie begonnen. Ihre Folgen sind bis heute spürbar. Ein Gespräch mit Martina Kindsmüller, Leiterin der Jugend- und Familientherapeutischen Beratungsstelle beim Amt für Jugend und Familie der Stadt Regensburg.

Fotografie: Eine Kinderhand hält den Finger einer erwachsenen Hand. © liudmilachernetska/123RF.com

Frau Kindsmüller, welche Folgen hat Corona in den Familien hinterlassen?

Die Pandemie hat an vielen Stellen Spuren hinterlassen. Insgesamt hat sich die Rate der psychischen Erkrankungen erhöht und das ist – entgegen der Erwartungen – nach der Pandemie nicht mehr weggegangen. Natürlich hat Corona jeden anders getroffen. Aber wir erkennen in der Erziehungsberatung schon Themen, die heute eine größere Rolle spielen. Soziale Ängste und sozialer Rückzug zum Beispiel. Also Kinder und Jugendliche, die nur noch mit Mühe irgendwohin gehen können. Auch schulische Lücken, die sich nicht mehr schließen lassen, haben zugenommen. Ein Thema, das deutlich wichtiger geworden ist, ist außerdem die Mediennutzung. Es ist für viele Eltern schwer, hier einen guten Weg zu finden mit ihren Kindern. Dabei geht es nicht darum, den Bildschirm generell zu verteufeln oder wegzusperren. Aber wenn wichtige Entwicklungsaufgaben vernachlässigt werden, wenn ein Kind oder Jugendlicher zum Beispiel gar keine Freunde mehr trifft, nicht mehr rausgeht und nur noch am Bildschirm hängt, dann ist das schon kritisch. Das in der Familie auszuhandeln und auch zu vermitteln, was genau es ist, was einen besorgt – also nicht die Tatsache, dass gespielt wird, sondern die Folgen, die damit verbunden sind – ist eine Aufgabe, die nicht immer einfach ist. Zumal Corona ja nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern belastet hat. Darunter haben auch viele Partnerschaften gelitten.
Generell hat die Nachfrage nach Erziehungsberatung in den letzten drei Jahren stark zugenommen. 2021 hatten wir 851 Beratungen, 2024 waren es 1.107. Corona war nicht der einzige Faktor, der zu dem Anstieg geführt hat, aber es hat auf jeden Fall mit dazu beigetragen.

 

Wie können Sie in der Erziehungsberatung denn in diesen Fällen weiterhelfen?

Unser Ziel ist, die Kräfte und Stärken, die die Eltern haben, zu unterstützen. Wir schauen gemeinsam: Wie ist die Situation? Was hat uns in der Vergangenheit geholfen? Was können wir davon jetzt nutzen? Damit können die Eltern dann meistens sehr gut selbst weitermachen. In 80 Prozent der Fälle umfasst die Beratung zwischen einem und zehn Terminen. Bei Bedarf gibt es aber keine Obergrenze. Das ist das Gute an der Erziehungsberatung. Sie ist flexibel und ein sehr niederschwelliges Angebot, das heißt sie ist kostenlos, man muss keinen Antrag stellen. Man meldet sich einfach an und bekommt einen Termin, auch wenn wir momentan wegen der großen Nachfrage leider mehrere Wochen Wartezeit haben.

Porträt: Martina KindsmüllerMartina Kindsmüller ist Diplompsychologin, Familientherapeutin und approbierte Psychotherapeutin. Seit 1994 arbeitet sie bei der Jugend- und Familientherapeutischen Beratungsstelle der Stadt Regensburg, seit 2015 als deren Leiterin. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Was ist mit dem Vorurteil, man könnte sich Probleme mit dem Jugendamt einhandeln, wenn man in die Erziehungsberatung des Amtes geht?

Diese Angst ist vollkommen unbegründet. Wir gehören zwar zum Jugendamt, aber wir haben eine Schweigepflicht – auch gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen, außer es geht um eine Kindeswohlgefährdung. Da gelten für uns genau die gleichen Regeln wie für die beiden anderen Erziehungsberatungsstellen in Regensburg. Oft wird übrigens sogar andersherum ein Schuh daraus: Wir können manchmal helfen, wenn es darum geht, einen Antrag zu stellen oder schnell zusätzliche Hilfe zu finden, wenn das, was wir in der Erziehungsberatung anbieten können, nicht ausreicht. Aber das ist dann freiwillig und in Absprache mit den Eltern.

 

Haben sich die Ansprüche an Eltern über die Jahre geändert?

Ich würde sagen, Elternsein ist insgesamt schwieriger geworden. Das Thema psychische Gesundheit spielt eine viel größere Rolle als früher. Die Forschung hat da in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht und auch gezeigt, wie wichtig die ersten Lebensjahre dafür sind. Das ist auf der einen Seite eine sehr positive Entwicklung. Auch, dass wir heute generell mehr auf die seelische Gesundheit schauen und Menschen schneller bereit sind, sich bei psychischen Problemen Hilfe zu holen. Andererseits führt es aber bei vielen Eltern zu dem Gefühl, dass sie die alleinige Verantwortung dafür tragen, dass sich ihre Kinder zu psychisch gesunden Erwachsenen entwickeln. Sie wollen überhaupt keine Fehler machen, alle Bedürfnisse ihrer Kinder erfüllen und unter allen Umständen dafür sorgen, dass sie psychisch gesund aufwachsen. Da entsteht ein Druck, der leicht zu einer totalen Verunsicherung führt, wenn – wie es im Leben eben so ist – nicht alles so läuft wie geplant. Wenn es zum Beispiel in der Partnerschaft kriselt, es Stress in der Arbeit gibt oder die Familie einen Schicksalsschlag erleben muss. In unserer Beratung geht es ganz oft darum, Eltern wieder ein Stück Sicherheit zu geben.

 

Haben Sie einen Rat für junge Eltern, die noch am Anfang Ihrer Aufgabe stehen?

Mein Rat ist: Ich darf mein Kind erst einmal kennenlernen. Ich muss nicht alles wissen und können. Kinder sind verschieden, sie entwickeln sich unterschiedlich und es gibt Entwicklungssprünge, nach denen wieder alles anders ist. Das kennenzulernen, sich darauf einzulassen, braucht Zeit. Diese Zeit darf ich mir nehmen. Und ganz wichtig: Ich muss nicht immer alles richtig machen!

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Text und Interview: Katrin Butz

Weitere Informationen

Die Jugend- und Familientherapeutische Beratungsstelle beim Amt für Jugend und Familie

Die Jugend- und Familientherapeutische Beratungsstelle bietet nicht nur Beratungsgespräche an, sondern hat auch Präventive Kurse und Programme für unterschiedliche Zielgruppen im Angebot: Das Programm „Tausend und Keine Nacht“ hilft zum Beispiel Eltern von Säuglingen und Kleinkindern, die nicht oder schlecht schlafen und viel schreien. Die Fachstelle InMigra-KiD unterstützt Familien mit Migrationshintergrund in der Regensburger Bildungslandschaft, zum Beispiel durch den Einsatz von Sprachmittlern. Die Kurse „KiB – Kind im Blick“ richten sich an Eltern, die in Trennung oder Scheidung leben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstelle gehen auch in die Kindergärten und Schulen, zum Beispiel im Rahmen von Sprechstunden oder mit dem Präventionsprogramm „Hören, Lauschen, Lernen“, mit dem Lese- und Rechtschreibschwäche bereits im Kindergartenalter vorgebeugt werden soll.

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